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»Professor, jemand möchte Sie sprechen.« Der Mann vom Sicherheitsdienst klang nicht so gelangweilt wie sonst.

»Soll sich einen Termin geben lassen. Beim nächsten Mal leiten Sie den Anruf gleich an Frau Pakdimounivong weiter.«

»Ja, Sir. Aber, Sir, die … Person ist persönlich hier.«

»Und? Ist die Maglev defekt? Kann er nicht wiederkommen?«

»Die Person ist am hinteren Tor.« Der Sicherheitsmann wirkte, als hätte Putih das wissen müssen.

»Wir haben ein hinteres Tor? Wo?«

»In der Verlängerung vom Fleming-Wohnheim. Was machen wir jetzt mit dem … Besucher?«

Putih dachte einen Moment nach. »Wie ist der eigentlich auf die Rückseite gekommen? Wir haben doch Kameras. Die sollten doch gesehen haben, wie er aus dem Pod ausgestiegen ist.«

»Sir, der Besucher ist nicht mit dem Pod gekommen. Wir glauben, er ist durchs Hinterland gekommen.«

»Sie glauben??? Haben wir da nicht auch Sensoren?« Putih wirkte neugierig. Die Situation war ungewöhnlich. Ungewöhnliche Situationen waren oft nützlich.

»Es wurde kein Alarm ausgelöst. Wir haben es erst bemerkt, als die Person geklingelt hat.«

»Und Sie sind sicher, dass er allein ist?«

»Nein, Sir. Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass es sich um einen Angriff handelt. Feinde klingeln normalerweise nicht.«

»Also gut. Stellen Sie durch.«

Auf dem Bildschirm erschien eine Wiese, dahinter der Urwald. Die KI schien Schwierigkeiten zu haben, die Person im Bild zu halten.

»Was wollen Sie«, fragte Putih.

»Sind Sie der Mutantendoktor?« Die KI folgte der Stimme. Eine Person in einer Tarnjacke – der Stimme nach ein junger Mann – erschien auf dem Bildschirm.

»Ich bevorzuge die Bezeichnung ›Spezialist für außergewöhnliche Genetik‹.«

»Gut. Ich brauche Ihre Hilfe.« Der junge Mann schlug die Kapuze zurück.

Putih schaute sich einen Moment das Bild an. Er konnte nichts weiter entdecken als zwei unterschiedliche Augenfarben. »Hetereochromie ist kein Grund, hier unangemeldet aufzutauchen.«

»Aber das hier schon.« Der junge Mann hielt seine zwei rechten Hände ins Bild. »Außergewöhnlich genug?«


Zehn Minuten später stand der junge Mann im Labor. Zwei Assistentinnen nahmen ihm die Tarnkleidung ab. Als Frau Pakdimounivong den Raum betrat, stand er in Unterwäsche da. Offenbar schien ihn das nicht zu stören.

»Hallo. Ich bin Keilana Pakdimounivong. Du kannst mich Seykey nennen.«

»Martti.« Der junge Mann streckte eine mutierte Hand aus, zuckte zurück, dann hielt er sie trotzdem hin.

Frau Pakdimounivong inspizierte die glatte Oberseite, dann die Lamellen auf der Unterseite.

»Haben wir schon einen Scan«, fragte sie.

Eine Zahlenreihe erschien auf dem Bildschirm. Frau Pakdimounivong tippte etwas. Die Zahlenreihe wurde kürzer.

»Hmm. Eigenartig.«

»Was ist los, Frau Pakdimounivong?« Putih konnte sich mit dem digitalen Sequenzer nicht anfreunden. Für ihn war DNA ein Muster auf einem nassen Papier.

»Ich finde keine Virussignatur.«

»Gar keine? Weder seine noch … andere?«

»Gar keine. Ich schau mir mal die Gene für Entwicklung der Hände an.« Die Zahlenreihen änderten sich.

Der junge Mann – Martti Turunen, wie die Krankenakte auf dem anderen Bildschirm verriet – schaute still zu. Die Panik, die neue Patienten üblicherweise zeigten, fehlte komplett. Stattdessen wirkte er neugierig. Putih hatte ein schlechtes Gefühl.

»Oh«, sagte Frau Pakdimounivong, dann musterte sie den jungen Mann von oben bis unten.

Als er stumm blieb, stellte Putih die Frage, die er von Turunen erwartet hatte. »Was ist los?«

»XN8-4 und 5 sind verändert. Sieht aus wie eine verzögerte Aktivierung.«

»GM?« Putih nutzte den hausinternen Code, der seinen üblichen Patienten und ihren Eltern wenig sagte.

»Möglich, aber unwahrscheinlich. Ich sehe sonst nur native Abberationen. 48K7 und SNOO3 zum Beispiel.«

Die Miene des jungen Mannes verfinsterte sich.

Putih konzentrierte sich wieder auf die Analyse. Natürliche Veränderung oder nicht, der junge Mann war eine Ressource. So kurz vor einem Krieg durfte man nichts verschwenden.

»Prognose?«

Frau Pakdimounivong grübelte einen Moment. »Ich muss ein paar Simulationen laufen lassen, aber so groß wie die Initiationskomplexe an XN8-5 sind, wird es bald eine MK geben.«

»MK?« Der junge Mann verschränkte die Arme vor der Brust, merkte dann, dass das nicht so funktionierte wie früher und faltete schließlich seine Hände hinter dem Rücken.

»Mutationskaskade,« antwortete Putih.

»Wissen wir, wer das war«, fragte der junge Mann, als hätte er an früheren Analysen teilgenommen.

»Wir nicht, das ist sich…«, begann Frau Pakdimounivong. Sie verstummte, als sie merkte, dass sie auf den Trick hereingefallen war.

Putih bemerkte es auch. Seine mentale Bewertung des jungen Mannes bekam einen weiteren Pluspunkt.

»Wer dann? Er?«

Frau Pakdimounivong drehte sich zu Martti um. »Lassen Sie diese billigen Versuche, mich auszuhorchen.«

Der junge Mann lächelte. Nach einer Sekunde verschwand der Ausdruck wieder. Er machte einen Schritt auf die Genetikerin zu. Die Sicherheitsleute auch.

»Sie werden mir jetzt ganz klar und deutlich die Analyse erklären. Welche Veränderungen haben Sie an meinen Genen gefunden? Welche körperlichen Folgen wird das haben und wie lange wird das dauern? Kann man es rückgängig machen?«

»Sie haben hier gar nichts zu fordern«, sagte Putih. Das war immer noch seine Akademie.

»Verordnung über medizinische Daten, Paragraph 12. Sie scheinen zu vergessen, dass Sie es nicht mit einem Kind zu tun haben. Außerdem greift das Mutantengesetz nicht, solange Sie keine Wirkung durch biologische Waffen nachweisen können. Ich bin – was das Gesetz angeht – einfach jemand mit einer seltenen Krankheit. Damit können Sie mich weder festhalten noch mir meine Untersuchungsergebnisse vorenthalten.«

Putih trat einen Schritt zurück. Er brauchte zwei Atemzüge, um seine Mitte wiederzufinden. Wie konnte es dieses … Kind wagen, ihn in seiner Akademie zu belehren?

»Und was wollen Sie tun, wenn mich das alles nicht interessieren würde? Sehen Sie die beiden Herren mit den Betäubungsgewehren? Sie würden sich schneller in einer Zelle wiederfinden, als Sie Mutant sagen könnten. Das Ministerium würde von mir einen Bericht bekommen, der dafür sorgt, dass man Sie nie wieder raus lassen würde.«

Statt zurückzustecken trat der junge Mann einen weiteren Schritt vor. Die Sicherheitsleute warteten auf einen Wink von Putih.

»Das wäre nicht ratsam. Sollte ich mich nicht in zwei Stunden an einem bestimmten Rechner anmelden, wird automatisch ein Video an Nutro-Ad geschickt. Darin wird von meiner Entführung durch den Sicherheitsdienst der Akademie berichtet. Gleichzeitig geht eine ganze Sammlung an Akten verschwundener Kinder an die Presse. Ich habe mir erlaubt, an einigen Stellen den Namen von verdächtigen Personen durch Ihren zu ersetzen, Professor.«

»Sie wollen mich erpressen?«

»Nennen Sie es eine Versicherung. Ich konnte nicht genug über die internen Abläufe der Akademie herausfinden, um sicher zu sein, dass Sie nicht doch sind, was die Gerüchte behaupten.«

Frau Pakdimounivong sah aus, als mache auch sie mentale Notizen. »Sie sind etwas paranoid, oder? Hat man das schon mal professionell diagnostiziert?«

Der junge Mann grinste. »Ich habe in meinem Leben genug mit Psychologen zu tun gehabt, um denen fern zu bleiben. Um die Frage zu beantworten: Nein, ich bin nicht paranoid. Ich bereite mich nur sehr, sehr gründlich vor.«

Frau Pakdimounivong schnaubte. »Einen Regenschirm einzupacken, ist eine Vorbereitung. Ein Video und Akten zu fälschen, grenzt – selbst bei dem Ruf der Akademie in der Bevölkerung – schon an Paranoia. Bei Ihrer Herkunft ist vermutlich nichts anderes zu erwarten.«

Der junge Mann seufzte. »Echt jetzt? Sie stehen mit dem Rücken an der Wand und statt mir einfach zu erklären, was ich habe, geben Sie solchen intoleranten Mist von sich? Gerade Sie?«

Der junge Mann deutete vage in Frau Pakdimounivongs Richtung. Offenbar bezog er sich auf ihre Federn.

»Ich meinte, dass Sie wohl bisher genug schlechte Erfahrungen mit Bewohnern von Foundation gemacht haben müssen, wenn Ihre erste Reaktion auf ein medizinisches Problem ein Totmannschalter und kein Arzt ist.«

Der junge Mann schnaufte. »Entschuldigung akzeptiert. Also, was wird mit mir passieren, Doktor?«

Frau Pakdimounivong glättete die Federn an ihrem Hals. »Ohne Simulation schwer zu sagen. Wenn ich raten müsste: Vier Arme, vier Beine, lila Rücken, gelber Bauch. Sauglamellen an den Extremitäten. Zersetzung des Endoskeletts. Und schlechte Laune.«

Der junge Mann schaute die Genetikerin an, als suche er nach einem Scherz. Als er keinen fand, seufzte er wieder. »Wie lange?«

»Die Veränderung der Hand hat zwei Wochen gedauert … Der Rest wird etwa zwei Monate brauchen. Ihr Kalorienbedarf wird so hoch sein, dass Sie immer Hunger haben, auch wenn wir Sie intravenös ernähren. Sie werden – auch danach – jeden Tag mindestens zwei Stunden trainieren müssen, um Ihre Muskeln aufzubauen.«

Der junge Mann brummte. »Heißt also, ich muss hier bleiben? ›Zur Beobachtung‹.«

Frau Pakdimounivong nickte. »Das wäre besser. Sowohl aus medizinischer als auch aus … sozialer Sicht.«

»Ich sehe wie ein Mutant aus, also sollte ich auch an der Mutantenschule bleiben? Um die einfache Bevölkerung nicht zu erschrecken?«

Frau Pakdimounivong kicherte wie ein kleines Mädchen, dann nickte sie. »Harris, geben Sie Martti einen Ausweis. Zugangsstufe 4. Sagen Sie Henrietta Bescheid, dass sie ein Zimmer vorbereiten soll. Das Kadonaga-Wohnheim wäre sicher angemessen, bei seinem Alter.«

»Willkommen an der Akademie. Du kannst Dich wieder anziehen. Ich erstelle Deinen Behandlungsplan. Den findest Du nachher in Deiner Mail. Bitte halte die Termine genau ein. Wir haben wenig Spielraum für Verschiebungen.«

Der junge Mann nickte, dann griff er nach seiner Kleidung, die eine Assistentin anreichte. Schließlich drehte er sich zu den beiden Sicherheitsleuten um.

»Und Marrti: vergiss bitte nicht, den Totmannschalter zu entschärfen«, rief ihm Frau Pakdimounivong hinterher.

Nachdem sie allein waren, fragte Putih: »Sind wir sicher, dass es keine genetische Manipulation ist? Die Veränderungen wirken schon sehr gezielt. Ein Oktopus-Mensch? Sowas entsteht nicht einfach so.«

»Jetzt sind Sie paranoid. Nicht alle Mutationen sind auf den New-Horizons-Virus zurückzuführen. Vergessen Sie nicht, dass wir auf einem fremden Planeten sind. Lassen Sie sich nicht davon täuschen, dass die Biologie ähnlich zur Erde ist und wir bisher noch nichts wirklich Gefährliches gefunden haben. Es kann gut sein, dass Martti von seinen Eltern ausgesetzt wurde, weil ihnen irgendwo im Hinterland was passiert ist. Vielleicht sind sie genauso mutiert und haben ihn im Waisenhaus abgegeben, bevor ihm das gleiche widerfährt.«

»Ja, ja. Es ist halt nur verdächtig, dass jemand wie er im Jahr vor der Konjunktion auftaucht.« Putih war nicht überzeugt. Er konnte es sich nicht leisten, an einen Zufall zu glauben.

»Es ist auch sehr verdächtig, wenn ein junges Mädchen aus Foundation vor Ihrer Tür steht, das nie ihren Stadtteil verlassen hat und trotzdem zu einem Vogel mutiert. Ein Jahr vor dem Angriff des Generals. Manchmal ist sowas wirklich nur ein Zufall.«

Putih starrte auf die Tür, durch die der verdächtige junge Mann verschwunden war. Er nahm sich vor, ihn ganz genau im Auge zu behalten.


Submitted: February 16, 2025

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