Reads: 6

Gabriel wartete ungewohnt geduldig im Wohnzimmer, bis sein Sohn den Flur durchquerte.

»Daniel! Herkommen!«

Der Junge zuckte zusammen.

»Wieso ist dieses Scheiß-Video immer noch im Netz?« Gabriel schaute von seinem Tablet hoch.

»Es lässt sich nicht löschen.«

»Ich habe Dir den Namen des verdammt besten Hackers von Nutrocarro gegeben und Du Geizkragen versuchst es selber zu löschen? Bezahl den Mann und Dein Problem ist aus der Welt.«

Daniel trat von einem Fuss auf den anderen. »Ich habe den Hacker sogar persönlich aufgesucht und ihr zugesehen. Das Video kann man trotzdem nicht löschen. Der Hacker … sie hat eine Löschmarkierung gesetzt. So hätte jeder die Information bekommen, dass das Video gelöscht wurde.«

Gabriel hörte am Tonfall, dass irgendetwas nicht nach Plan gelaufen war. »Und?«

»Innerhalb einer Sekunde hatte sich das Video wieder neu in die Blockchain vor die Markierung gesetzt. Dann hat sie das Video mit einer leeren Datei überschrieben. Gleicher Effekt. Das Video hat sich selbst ganz vorn in die Blockchain geschrieben.«

Gabriel kam das irgendwie bekannt vor. Nachdem er einen Moment in seinem Hirn gekramt hatte, woher, bemerkte er die Miene seines Sohnes. Der Junge wirkte, als erwartete er eine Standpauke für den Fehlschlag.

»Hmm. Dieser Martin scheint ja ein verschlagener … Mistkerl zu sein. Ich muss mich dann wohl selber darum kümmern.«

»Ja, Vater.«

»Und Daniel: Gut gemacht. Vielleicht machen wir ja am Ende doch noch einen Mann aus Dir. Vielleicht sogar einen Geschäftsmann.«

Gabriel rief seinen Fahrer an. Nach einer Minute stand das Auto bereit. Nach einer weiteren setzte es sich in Bewegung. Fünfzehn Minuten später stoppte es vor der Spedition, einem Bürogebäude am Rande von Foundation. Gabriel – der stolz darauf war, noch nie mit der Maglev gefahren zu sein – musste zugeben, dass die Schwebebahn ganz nützlich war. Ohne sie wären die Straßen komplett verstopft.

»Morgen, Boss.« Ludwig, ehemals Lademeister des Kolonieschiffs und seit der Landung Vorarbeiter in Hegelers Spedition, wartete bereits in Gabriels Büro.

»Dann leg mal los. Aufträge zuerst.« Gabriel setzte sich hinter den Schreibtisch, aufrecht wie ein König bei der Audienz.

»Gute Nachrichten, Boss. Unser Mann im Bankenviertel hat eine große Bestellung aufgegeben. Zwei Kilo Muntermacher. Der Chemiker sagt, er hat das Zeug heute nachmittag fertig.«

»Was ist da los? Sonst dauert es doch immer so verflucht lange.«

»Hat irgendwas von Sprengstoff für die Akademie gefaselt und dass ihn keiner im Labor stört.«

»Von mir aus. Wie schaffen wir das Zeug über die Bucht? Boot oder Maglev?« Gabriel stellte die Frage mehr sich selbst als Ludwig.

»Für so eine Menge bräuchte man über hundert Kuriere, um es in der Maglev her zu bringen. Und wenn auch nur ein Dutzend Leute gescannt werden, fliegen wir auf. Boot!« Er beantwortete sie auch gleich.

Ludwig nickte. Er brauchte keine Notizen zu machen. Zum einen war er lange genug im Geschäft, um zu wissen, dass Notizen eine dumme Idee waren, wenn die Polizei kam. Zum anderen hatte er ein fotografisches Gedächtnis, wenn es um Manifeste ging.

»Wir haben eine Ladung Schutzanzüge nach New Horizons und ein paar Fässer Dünger auf der Rückfahrt. Selbst wenn die Polente was mitgekriegt hat, werden die das Zeug nie finden.«

Gabriel nickte. Die Drogen waren sowieso dicht verpackt, also konnte man sie auch beruhigt in den ätzenden Chemikalien verstecken.

»Und dann sind noch ein Dutzend Anfragen wegen Waffen reingekommen. Hauptsächlich Pistolen, aber auch ein Sturmgewehr und eine Drohne.«

Gabriel grunzte missbilligend. »Die Konjunktion macht die Leute echt paranoid.«

Ludwig zuckte mit den Schultern. Paranoia zahlte sein Gehalt. »Wo kriegen wir die Drohne her? Die Drucker laufen schon für die Pistolen und Teile des Gewehrs. Den Lauf musste ich extern vergeben. Wir haben keinen so großen Drucker.«

»Was für eine Drohne genau? Eine fliegende oder eine Bodendrohne? Welche Bewaffnung?«

»Irgendwas mit Beinen und einem Maschinengewehr. Dazu verschlüsselte und störsichere Kommunikation. Das genaue Modell ist egal.«

Gabriel grübelte ein paar Sekunden. Ähnlich wie Ludwig hatte er eine lange Liste im Kopf. Auf seiner standen Namen.

»Das müssen wir aufteilen. Die Beine und die Elektronik geben wir an einen Studenten am Technikum in New Horizons. Das Chassis und die Lafette geben wir an unsere üblichen Partner. Wenn wir die sechs Läufe an verschiedene Firmen geben, sollte das kein Problem sein. Die restlichen Teile drucken wir selber. Dann brauchen wir den Mist nur noch zusammenzusetzen.«

»Dann schick ich neun Kuriere rein, sobald wir hier fertig sind. Ich hoffe nur, wir haben noch genug Speicherchips.«

Gabriel starrte Ludwig an. »Was ist denn noch?«

Ludwig zuckte entschuldigend mit den Schulter. »Die Polente hat zwei unserer Fahrer hopp genommen.«

Gabriel sprang auf. »Diese verdammten ??????! Wir sollten sie ??????! Und ihre Frauen und Kinder gleich mit! Ich …«

»Boss! Boss. Ganz ruhig. Die beiden können nichts dafür. War eine spontane Kontrolle am Frachtdock. Die Bullen haben die Laster in ihre Einzelteile zerlegt.«

»Ich meine nicht die Fahrer! Ich meine die Drecks-??????! Wir sollten sie alle ???????????!«

»Kein Streß, Boss. Weder der Laster noch die Fahrer können mit uns in Verbindung gebracht werden. Die Fahrer sind auch schon wieder draußen. Unsere Vorkehrungen haben funktioniert.«

»Ja, verdammt. Aber die Ware …«

»Ist verschwunden wie die Hilferufe von Pietrocarro.«

Gabriel schoss aus seinem Sessel. Ihm wurde klar, warum ihm der Bericht seines Sohnes so bekannt vorkam. Vier Jahre vor dem Krieg waren überall Nachrichten von Pietrocarro aufgetaucht. Die ersten waren Berichte über Problem beim Terraforming, knappe Nahrungsmittel und Wassermangel. Dann wurden die Berichte zu Forderungen, statt der Maglev einen Mass Driver zu bauen. Irgendwann tauchten die Forderungen überall auf. Versuche, sie zu löschen, scheiterten. Genau wie das Video tauchte jede gelöschte Nachricht sofort wieder auf.

»Was ist?« Ludwig schaute zu seinem Chef hoch.

Der starrte weiter vor sich hin. Seine Gedanken rannten in der Vergangenheit umher, auf der Suche nach einer Verbindung. Er erinnerte sich daran, dass die Nachrichten von einem Tag auf den anderen verschwunden waren. Im Netz kursierten Gerüchte, dass Hacker der Regierung die Blockchain umgeschrieben hatten. Andere schoben es auf eine Massenhysterie. Ohne Beweis, dass die Nachrichten jemals existiert hatten, war es einfach zu glauben.

Trotzdem hatte Gabriel damals gute Geschäfte gemacht. Die Drucker waren im Dauerlauf gewesen. In den Tagen vor der Konjunktion hatte er Dutzende Leute beschäftigt, um die Tanks der Maschinen gefüllt zu halten.

»Karl, Yoshi und Boris sollen mich an der Uni treffen. Nein, nicht Karl! Schick Flauschi hin!«

Ludwig erhob sich in Zeitlupe. Die Verwirrung bremste ihn mehr aus als sein Alter. Er hatte seien Boss noch nie so aufgeregt, gierig und gleichzeitig verängstigt gesehen.

»Was ist«, wiederholte der Lagerist.

»Wenn ich Recht habe – und ich bin mir sicher – dann hat mein Sohn in seiner Dummheit den Generalschlüssel zum Netz gefunden. Oder wenigstens den, der ihn hat.«

›Generalschlüssel?‹ Lautlos formte Ludwig das Wort. Erst dann drang die Bedeutung in sein Hirn. Damit konnte man sämtliche Beweise verschwinden lassen. Sie wären unsichtbar, unangreifbar, unbesiegbar.

»Wie kann ich helfen«, fragte Ludwig das leere Büro. Der Boss war schon halb die Treppe hinunter.


»Folgt mir.« Gabriel winkte die Leute durch das grässliche Tor. Schon allein wegen dieses Tores verachtete er die Uni und die Leute, die dort arbeiteten. Die wenigen Studenten, die an der Uni wohnten, verachtete er ebenfalls, aber aus anderen Gründen. Emporkömmlinge aus New Horizons, einer wie der andere.

»Du sorgst dafür, dass wir nicht gestört werden.« Gabriel zeigte auf Yoshi.

»Flauschi, Du gehst vor. Boris, Du … Du stehst einfach neben mir und … Du stehst einfach da wie immer.«

Gabriel folgte der Karte auf seinem Tablet. Daniel hatte ihm die Zimmernummer geschickt.

Flauschi klopfte vorsichtig. Die Tür vibrierte nur wenig in ihrem Rahmen. Eine Sekunde später wurde sie aufgerissen. Der junge Mann aus dem Video erschien, sichtbar erschrocken und sauer.

»Hat Dir einer ins …« Flauschis Anblick war schneller in Leons Hirn, als es die Worte aus seinem Hals schafften.

Der Geldeintreiber schob Leon vorsichtig in die Wohnung. Daumen und Zeigefinger der rechten Hand lagen auf Leons Schultergelenk. Auf jeweils einem.

Gabriel folgte Boris, der die wenigen Räume überprüfte. Yoshi schloß die Tür hinter seinem Auftraggeber.

»Machen wir es kurz. Ich will Namen und Adresse von dem, der das Video ins Netz geladen hat. Ich weiß von Daniel, dass Dein Kumpel Hacking studiert. Den will ich zuerst. Und wenn der es nicht war, dann kommen wir wieder und wiederholen das hier.«

Leon schaute von Flauschi, dessen Hand ihn an der Wand fixierte, zu Boris. Im Gegensatz zu den meisten Leuten schienen ihn dessen Narben nicht sonderlich zu schockieren.

»Willst Du ihm wehtun?« Der Junge klang eher neugierig als verängstigt.

»Das kommt darauf an, wie kooperativ er ist. Oder Du.« Gabriel fühlte sich unsicher. Normalerweise liefen Befragungen anders ab: Mehr Geschrei und Gestank nach Angst.

»Oh! Marrti wird mit Ihnen nicht kooperieren.«

Gabriel nickte Boris zu. Der holte zu einer Ohrfeige aus. Er hielt einen Moment inne, dann sah er die Narben an Leons Hals. Er legte seine Finger um dessen Oberarm.

»Au! Finger weg!«

»Den vollen Namen und sein Versteck! Jetzt! Oder Boris wird unangenehm.« Gabriel fühlte sich wieder wohler in der Situation.

»Marrti Turunen. Er ist in dieser verdammten Mutantenschule!«

»Den richtigen Namen!« Gabriel wurde lauter, als er wollte.

»Das ist sein richtiger Name! Der Idiot heißt wie eine Märchenfigur!«

Gabriel schaute diesem Leon in die Augen. Nach seiner Erfahrung war das die beste Methode, Lügen zu entdecken. Das und Boris. Er entdeckte Verrat und Enttäuschung, aber keine Lüge.


Submitted: February 16, 2025

© Copyright 2025 Joe X. Kalubier. All rights reserved.

Chapters

Add Your Comments:


Facebook Comments

More Science Fiction Books

Boosted Content from Premium Members

Book / Science Fiction

Book / Mystery and Crime

Book / Romance

Book / Westerns

Other Content by Joe X. Kalubier